Rückblick 4. 2. 2011: "After the Silence"

Am 4. Februar um 20.30 Uhr hatte die Filmreihe „Freitag bei Birol“ Premiere. Sie enstand in Zusammenarbeit der Stadtteilvereins „Lorettina e. V.“ und dem Tübinger Filmemacher Marcus Vetter mit seinem Projekt cinema jenin.

Die Zuschauer/innen im überfüllten Café de Paris erlebten einen in mehrer Hinsicht ganz besonderen Abend. Gezeigt wurde nicht der angekündigte Film „Cinema Jenin“, sondern ein 90-minütiger Dokumentarfilm der beiden jungen Regisseurinnen Jule Ott und Steffi Bürger und ihrer palästinensischen Co-Regisseurin Manal Abdallah.: „After the silence“.

Schon dass die beiden deutschen Regisseurinnen und die Produzenten Marcus Vetter und Fakhri Hamad, der palästinensische Leiter von Marcus Vetters Projekt cinema jenin, anwesend waren, machte den Abend zu etwas Besonderem. Und noch vieles mehr: Dass Marcus Vetter sich entschieden hatte, den beiden engagierten Frauen die ungewöhnliche Chance zu geben, unmittelbar nach ihrem Studium einen 90-minütigen Dokumentarfilm zu drehen, und dass sie, die nie zuvor in Palästina waren, diese Chance mit einem mehrmonatigen Aufenthalt in Jenin ergriffen. Und dass die Zuschauer/innen den Film im Rohschnitt, noch vor der Farbkorrektur und im Rohsound zu sehen bekamen, also in einer Fassung, die so nicht in die Kinos und ins Fernsehen kommen wird. 

Herausgekommen ist ein Film, der genau das thematisiert, was den Beteiligten bei dessen Entstehung selbst wichtig war: den Mut zu vertrauen. Gezeigt werden Annäherungen, Besuche, Interviews im Umfeld eines Selbstmordattents, bei dem am 31. März 2002 ein junger Palästinenser, Shadi Tobassi, in einem arabischen Restaurant in Haifa 15 Menschen mit in den Tod riss. Jule Ott und Steffi Bürger versuchen, Kontakt zur Familie des Attentäters aufzubauen – dazu benötigen sie Hilfe von Einheimischen, nicht nur der Sprache, die sie nicht sprechen wegen, sondern auch, um in der fremden Kultur überhaupt einen Zugang zu den Menschen zu finden. Manal Abdallah, eine palästinensische Studentin, unterstützt sie. Einige Diskussionen über Ängste und Sorgen begleiten die Annäherungen. Familie Tobassi, so erfahren sie, wusste nichts von den Plänen des jüngsten Sohnes. Sie leiden noch immer an seinem Tod und den Folgen, die das Attentat für sie brachte.
Die Filmemacherinnen nehmen auch Kontakt zur Witwe eines Opfers auf: Dov Chernobroda, ein israelischer Architekt, der sich für Verständigung zwischen Israel und Palästina eingesetzt hatte, saß mit einer jungen Kollegin in dem Restaurant. Dass gerade er Opfer eines solchen Attentats muss man als bittere Ironie dieses Konflikts bezeichnen. Das Leben seiner Witwe Yael ist auch acht Jahre nach dem Attentat durch seinen Verlust überschattet.

Shadi Tobassis Familie und Yael sowie das Umfeld aus Freunden, Verwandten und durch das Attentat Mitbetroffen kommen immer wieder zu Wort. Ein weites Spektrum an Haltungen wird den Zuschauer/innen hier eröffnet, ehrlich und komplex. Schließlich wird das Publikum Zeuge, wie eine Begegnung von Yael mit der Familie des Attentäters Shadi Tobassi zustandekommt: Wie der Gedanke gefasst wird, die Vorbereitungen getroffen, erste Gespräche, dann ein Telefonat geführt wird und schließlich Yael mit ihrem Sohn nach Jenin fährt und bei den Tobassis zu Gast ist.

Der bewegenden Dokumentation folgte eine bewegte Diskussion. Der Film bekommt seinen letzten Schliff noch, Rückmeldungen waren willkommen. Vom Selbstverständnis von cinema jenin bis zur Diskussion einzelner Filmszenen spannte sich das Spektrum. Einig war sich das Publikum in seiner Zustimmung zu dem eindrucksvollen Erstlingswerk und dem ebenso beeindruckenden Teamwork, das hinter dem Projekt steht.

Sie würden einen „schwachen Film“ machen, wirft Manal den beiden Deutschen in einer Szene im Film vor. Der Schritt zur Versöhnung, der hier gezeigt werde, sei ein Einzelfall, der die Realität nicht wiedergebe. Die Regisseurinnen berichteten, dass Manal, die inzwischen als Co-Regisseurin fungiert, sich mit dem Film nun sehr identifiziere.

Frank Suppanz